Shortstory-Preis

Shortstory-Preis der Stadt Leverkusen für die Kurzgeschichte

DAS GITTER

Mein Vater fand das Gitter, als er zum ersten Mal um unser Haus herumging. Um unser neues Haus! Wie lange hatten wir uns darauf gefreut! Es sollte endlich Platz geben für uns Kinder, Platz für die Aktivitäten unseres Vaters und auch Platz für Mutters Melancholie, Platz für ihr Bedürfnis, einsam zu sein.
Das Gitter lehnte an dem kleinen Gartenhaus, das allerlei Gerätschaften enthielt. Es war wohl lange nicht geöffnet worden. Das Vorhängeschloss und das Gitter hatten sich mit den Holzplanken des Verschlages unter einem dichten Spinnwebennetz verbunden. Vater löste das Gitter so langsam, dass die Netze sich dehnten, widerstrebend lösten und an einzelnen Fäden davonflogen.
Er hielt das Gitter gegen das Licht. "Eine saubere Arbeit“, sagte er. "Wir werden einen Platz dafür suchen."
Das Gitter war tatsächlich ein Meisterwerk. Von beiden Seiten geschmiedet, gaben sich die vielen eisernen Schwellungen und Ausbuchtungen, die kleinen starren Schleifen und Windungen auf ihrer Rückseite selbst ihre Schatten. Unzählige geschmiedete Bögen schenkten dem dichten Gitterwerk filigrane Leichtigkeit und als mein Vater es gegen den hellen Himmel hob, sah es aus wie mit wolkenweißen Blüten übersät.
"Wir werden die Eingangstür damit schmücken." Mein Vater stellte das Gitter gegen den gläsernen Einlass in der Tür und trat einen Schritt zurück, um die Wirkung zu betrachten. Mutters helles Kleid wirkte wie erstarrt und tausendfach gebrochen, als sie die Treppe herunterkam und auf das Gitter zuschritt. Tausende von winzigen Zwischenräumen hatten den fließenden Stoff gemeißelt, die leichten Bewegungen des Rockes verbunden zu einer marmornen Tafel.
Sie starrte durchs Türfenster. "Wozu brauchst du dieses Gitter?"
Vater zuckte die Schultern. "Ich brauche es nicht. Ich finde es schön."
Mutter wandte sich um und stieg die Treppe wieder hoch. "Ein Gitter kann nicht schön sein. Trotz der Schmiedekunst bleibt es doch immer noch ein Gitter." Sie drehte sich auf dem Treppenpodest um. "Hier gibt es nichts, was sich einsperren ließe."
Ich verstand sie nicht. Ich sah in das verlegene Gesicht meines Vaters, das sich vergeblich um eine zornige Miene bemühte, und hasste meine Mutter in diesem Augenblick dafür, dass sie fünf Treppenstufen über uns stand.
"Vielleicht vor meinem Arbeitszimmer“, murmelte Vater und trug das Gitter ins Haus.
Meine Mutter sah vom Garten aus zu, wie er versuchte, das Gitter vor dem Fenster des Arbeitszimmers anzubringen. Und sie bemerkte als Erste, dass es zu groß war. "Die Freiheit ist eine Lerche“, lächelte sie spöttisch, "der eine Kanone nicht viel anhaben kann." Und als das Telefon klingelte, lief sie ins Haus, um wieder einmal "Hallo, Hallo!" ins Telefon zu rufen. Und dann: "Sie sind wohl falsch verbunden."
Mein Vater rief die Treppe herunter: "Manchmal ist sie wie ein Wurm, der sich in der Gosse windet."
Trotzdem machte er noch einen Versuch, dem Gitter einen würdigen Platz einzuräumen.
"Vor deinem Fenster würde es sich gut machen“, sagte er während einer Mahlzeit zu Mutter. "Auch die Maße stimmen."
Mutter machte eine Bewegung, als wollte sie aufspringen. Aber dann legte sie nur das Besteck zur Seite und sah ihn mit großen Augen an. "Nun haben wir dieses Haus“, begann sie langsam. "Nun habe ich endlich dieses Zimmer ganz für mich allein. Und du willst mich daran hindern, das Quadrat des Himmels zu sehen, das mir allein gehört?"
Nun war es an ihm aufzustehen, um das Zimmer zu verlassen. "Ein Quadrat mit einem Netz voll aufbrechender Rosen davor“, murmelte er. "Kann man sich etwas Schöneres wünschen?" Und damit verließ er den Raum.
Ich starrte meine Mutter an, die gleichmütig die Mahlzeit beendete, und überlegte, ob ich Vater anbieten sollte, das Gitter vor meinem Zimmer anzubringen. Er hatte ja Recht - das Gitter war schön. Ein Netz voll aufbrechender Rosen! Aber ich sah Mutter an und wusste, dass ich auch kein Gitter wollte.
Dann war Vater sicher, den richtigen Platz gefunden zu haben. "Es wird die Sitzecke vom Esszimmer trennen“, verkündete er stolz. "Wir werden das Gitter mit rankenden Pflanzen begrünen. Eine lebende Wand!"
Ich hatte Mutter noch nie weinen sehen. "Eine lebende Wand“, wiederholte sie verächtlich, ehe sie in Tränen ausbrach. "Es gibt nichts Lebloseres als eine Wand“, brachte sie unter Schluchzen hervor. "Und die Pflanzen an einer solchen Wand sind nichts anderes als Strickleitern an einer Gefängnismauer. Was eine Trennung tötet, macht das Wachstum einer Pflanze nicht wieder lebendig. Scheinheiligkeit, nichts als Scheinheiligkeit!"
Diesmal sagte sie, als das Telefon ging, nicht "Falsch verbunden!“, sondern: "Ich komme."
Und sie packte ihre Koffer und ging.
Ich habe meine Mutter dann lange nicht gesehen. Und ich habe versucht, das Leben mit ihr zu vergessen und auch die Geschichte mit dem Gitter. Aber als kürzlich mein Mann ein kunstvolles, wunderschön geschmiedetes Gitter ins Haus brachte, war ich sehr dagegen. Und ich wusste zunächst lange nicht, warum.